Rezensionen
Sucht man im Internet nach den in der Geschichte bekanntesten Persönlichkeiten, so findet man in der Regel nur Männer. So werden z.B. bei „whoswho“ (http://www.whoswho.de/sonderseite/die-100.html) nur 5 Frauen unter den ersten 100 (Katharina, die Große, Marie Curie, Königin Victoria, Kleopatra und Jeanne d‘Arc) genannt. Dabei hätten es viele Frauen verdient, im Gedächtnis der Menschheit ganz vorne zu sein. Doch man findet keine Kassandra, keine Sappho, keine Hypatia, keine Malinche, keine Rosa Luxemburg …und auch keine Vittoria Collonna.
Höchstes Lob ist der Autorin zu zollen für eine umfassende Arbeit von höchster Dichte an Quellmaterial und an Präzision. Mit ihrem Werk hat sie Vittoria Colonna, diese herausragende Persönlichkeit der Renaissance uns wieder in Erinnerung gebracht. Allein das verdient schon größten Dank. Denn wenig nur blicken wir in unserer schnelllebigen Zeit zurück. Den Augenblick der Gegenwart vergessend rasen wir in die Zukunft. Dabei ist die Vergangenheit mit ihrem Geschehen und ihren Persönlichkeiten Grundlage unserer Welt. So auch die Person und die Lyrik einer Vittoria Colonna.
Geboren in bewegter Zeit im Jahr 1492. Die Mauren verlieren mit Granada ihre letzte Bastion in Europa, Columbus findet im selben Jahr die Neue Welt und Luther rebelliert wenig später gegen die kirchliche Ordnung. Die Alte Welt ist im Aufbruch und Vittoria Colonna in ihr. Vittoria ist keine Revolutionärin. Aber sie stellt Fragen nach der Rolle der Frau. Sie gibt Denkanstöße für eine weibliche Komponente in unserem männlichen Gottesbild, wie auch in der weiblichen Gestaltung unserer Welt. Hätte ihr Beispiel Schule gemacht, wie viel maskuline Verunstaltung der Welt und welche immensen Zerstörungen, die maskuline Gewalt verursachte, hätten sich durch die Mitbestimmung von Frauen, die mit ihrem ureigenen Auftrag, Leben zu schützen, Ernst gemacht hätten, verhindern lassen? Nicht reduziert ist ihr Ansatz von heutigen Ansprüchen auf Quotenregelung und ähnlichen Oberflächlichkeiten.
Im vorliegenden Werk geht es vornehmlich um Beschreibung, Inhalte und Gedankenwelt ihrer Lyrik in ihren meisterlichen Sonetten. Besonders herauszuheben ist Maria Musiols Übertragung der Sonette aus dem Italienischen der Renaissance in die deutsche Sprache unter gleichzeitigem Erhalt des Originals. Wie durch ein Wunder erfühlt man plötzlich die Sprachmelodie des Originaltextes.
In dieser Rezension sei als Beispiel für das Denken der Vittoria ein Auszug aus dem Sonett,Veggio di mille veli avolto“ näher betrachtet:
Die klare, reine Wahrheit sehe ich von tausend bunten Schleiern verhüllt.
Tausend falsche Sirenen höre ich ringsum und weiß, daß die Verlockung oder gar der Himmel zu unwürdigen Ehren verführen.
Bösartige Zeit und Harpyien! Während sie das Herz rauben, schenken sie dem Auge
Ehre, Leben, Reichtum.
Umfliegen uns nicht gerade in der heutigen Zeit diese Harpyien wieder, in einer Zeit, wo Schein mehr als Sein gilt? Eine Vittoria Colonna, wohl auch eine Renaissance hätten wir bitter nötig.
- von HANS SCHWINGER, SCHWEBHEIM