Die "Neue Frau"

In ihrer Gegenwart erregte die weibliche Renaissance der Vittoria Colonna als ein neuartiges Phänomen Verwunderung, aber auch bewunderndes Staunen bei ihren männlichen Zeitgenossen, die, wie aus einem Mund, „den männlichen Verstand“ dieser neuen Frau priesen.

In der schöpferischen Ruhelosigkeit ihres genialen Geistes, der aus Konventionen ausbrach und in Regionen vordrang, „ die anderen noch völlig unbekannt waren“ (Castiglione), bildete Vittoria Colonna keine klar konturierte Persönlichkeit aus. Darum profilierte sie ihr zeitgenössischer Biograph Paolo Giovio nicht, sondern verglich ihre geistige Lebendigkeit mit den Feuern, die von den Pharaonen auf den Spitzen der Pyramiden entzündet wurden:

„Diese Feuer loderten in solche Höhen, dass sie von den Menschen in den fernsten Regionen Afrikas gesehen wurden.“

In ihrer stupenden geistigen Komplexität und inneren Dynamik darf Vittoria Colonna nur in der Unmittelbarkeit ihres aktiven und geistigen Lebens, das sie in ihren Sonetten seismographisch registrierte, dargestellt werden, unter Verzicht auf besserwisserische Einmischung des Autors, der sich stattdessen in sie einfühlen sollte, und ohne den Versuch, sie zu profilieren und in Schablonen zu pressen, auf der Grundlage all ihrer Sonette, all ihrer Briefe, aller erhaltenen zeitgenössischen Zeugnisse über sie, die in der vorliegenden biographischen Studie zum ersten Mal (!) möglichst in ihrer Gesamtheit herangezogen wurden.

Wer Vittoria Colonna ein, an Konventionen angepasstes Profil überstülpt, beraubt diese geniale Frau der italienischen Renaissance ihrer einzigartigen Komplexität, die alle literarischen Frauentypen ihrer Zeit, auch die Shakespeares,  zu rigiden Marionetten und männlichen Abstraktionen der Frau verblassen lässt.  


files/neuefrau.jpg